02.06.22

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Effektive Mikroorganismen

Amarish Bhai, Bio-Baumwollbauer im westindischen Gujarat, hält einen kleinen Plastikcontainer mit einem gelblichen Pulver in der Hand. Fünf Rupien, etwa sechs Eurocent, hat er dafür bezahlt. Der Inhalt: EM, sogenannte „Effektive Mikroorganismen“, hergestellt im indischen Forschungszentrum für Bio-Landwirtschaft. Seit ihm die Landwirtschaftsberater gezeigt haben, wie er die EM mit Wasser vermischt auf seinem Feld ausbringen kann, ist er nicht nur mit den Ernteergebnissen sehr zufrieden, auch die Bodenqualität hat sich verbessert. Wenn es regnet, kann mehr Wasser aufgenommen und gespeichert werden, was in einer extrem trockenen Gegend wie in diesem Teil Gujarats sehr wichtig ist.

„Effektive Mikroorganismen“ ist ein Sammelbegriff für Gruppen von nützlichen Bakterienstämmen, darunter vor allem Milchsäurebakterien und Hefen, die in einer flüssigen Umgebung koexistieren können. Geprägt wurde der Begriff von einem japanischen Gartenbauexperten, Teruo Higa, Professor an der University of the Ryukyus in Okinawa, der in den 1990iger Jahren als erster ihre Bedeutung erkannte: Sobald Böden mit der ausreichenden Menge an EM „geimpft“ werden, beginnen die EM das gesamte Spektrum der vorhandenen Mikroorganismen zu verändern. Sie setzen einen positiven Kreislauf in Gang, der nicht nur die Bodenstruktur und Fruchtbarkeit erhöht, sondern auch die Zahl der Krankheitserreger reduziert, das Wachstum von Mykorrhizen-Netzwerken unterstützt und dadurch die Verfügbarkeit von Mikronährstoffen erhöht, die die Pflanzen für ihr Wachstum und die Stärkung ihrer Immunabwehr brauchen. Vermehrt werden EM über Fermentationsprozesse und mit Hilfe von Zucker (Zuckerrohrmelasse oder in Indien Palmzucker).

Es gibt inzwischen überall auf der Welt Hersteller, die EM flüssig oder in Pulverform anbieten. In der Manufaktur Jörg Geiger kommen EM-Präparate bei der Aktivierung des Bodenmikrobioms genauso zum Einsatz wie bei der Stärkung der Blattgesundheit.

Eine andere Methode für die Wachstumsförderung mit Mikroorganismen ist die Arbeit mit Wurmkompost. Alfred Grand ist Bio-Landwirt im österreichischen Absdorf, wo er nicht nur Gemüse und Getreide anbaut, sondern auch eine „Wurmfarm“ betreibt. In einem hohen Tunnel aus dunkelgrüner Folie, der Schutz vor Regen und Sonne bietet, sind mehrere 2,40 Meter lange, flache, nach unten durchlässige Tröge installiert, die mit Kompost gefüllt werden. Etwa zehn Wochen brauchen die Würmer, bis sie die Rohkompostmischung „verarbeitetet“ haben. Mit Wasser vermischt und gerührt, wird daraus ein Wurmkomposttee, der reich ist an Nährstoffen, Bodenbakterien, Phytohormonen und Huminsäure. Wird das Wasser wieder entzogen, bleibt eine pulvrige Substanz, die bei der Aussaat als Nähr- und Starterkultur fungiert. „Wurmkomposttee ist für den Boden, was ein Nahrungsergänzungsmittel für uns sein kann“, meint Grand.

EM können aber auch zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. Das Prinzip ist simpel: „Du förderst immer den, dem du die besten Umweltbedingungen gibst“, sagt Alfred Grand. So gibt es beispielsweise Pilze, die sich von Chitin ernähren, erklärt er. Chitin findet sich im Panzer von Käfern, die konventionelle Landwirte mit Pestiziden bekämpfen würden. „Man kann aber auch die Entwicklung dieser Pilze fördern indem man einem EM-Präparat Chitin in Form von vermahlenen Krabben beigibt, dadurch vermehren sie sich stark, bis sie schließlich die Käfer angreifen“, sagt Grand.

„Mische Kuhurin mit Zucker und Blättern, die eine Ziege nicht frisst“, so erklärt ein anderer indischer Bio-Baumwollbauer die Herstellung seines EM-Pestizids. Bei dieser Mischung sind es die Bitterstoffe, die saugenden und beißenden Schädlingen den Appetit verderben – was eine Ziege nicht anknabbert, ist wirklich ungenießbar. Etwas wissenschaftlicher geht man auf der Teeplantage Iyerpadi in den südindischen Annamalai-Bergen vor. Von dieser Plantage kommt der Tee, der in der Manufaktur Jörg Geiger zur Herstellung von „TeaSecco“ verwendet wird. In Iyerpadi arbeitet Dr. S. Marimuthy mit einem ganzen Team in einer plantageneigenen Versuchsstation mit Labor. „Bio-Dünger müssen eng an die lokalen Gegebenheiten angepasst sein“, sagt Marimuthy. Dazu werden in unbearbeitetem Boden nützliche Bodenpilze identifiziert. Im Labor wird getestet, ob sie sich auf einer Bodenprobe aus der Plantage etablieren können und wenn das der Fall ist, werden die Mykhorrizen in großer Zahl gezüchtet und als Bio-Dünger ausgebracht. In ähnlicher Weise entwickelt das Team auch Bio-Pestizide. „Helopeltis“ ist ein saugendes Insekt, das die Teeblätter schädigt. Im Labor stellte man fest, dass Helopeltis durch einen Pilz geschädigt werden. Befallene Teebüsche werden jetzt mit einer Lösung besprüht, die künstlich vermehrte Pilzsporen enthält. Nützlinge wie Marienkäfer und Pheromonfallen besorgen den Rest. Mit anderen Schädlingen wie der „Roten Spinnmilbe“ und dem „tea shot hole borer“, einer Rüsselkäferart, geht man ähnlich vor: Es werden Pflanzenextrakte eingesetzt, die für die Schädlinge unangenehm sind, während man gleichzeitig die Bedingungen für nützliche Insekten, Bakterien oder Pilze verbessert und deren Vermehrung fördert.

Letztendlich sind auch Bio-Teeplantagen Monokulturen – Schädlinge und Krankheitserreger finden hier deutlich bessere Bedingungen vor als auf extensiv bewirtschafteten Flächen mit hoher Biodiversität. Und zu diesen gehören WiesenObst-Stückle. Die Hege und Pflege der „unterirdischen Herden“ von Mikroorganismen und Bodenlebewesen ist vielleicht die wichtigste Aufgabe für den Erhalt dieser Flächen und ihren landschaftsprägenden Baumbeständen.

Marianne Landzettel ist Agrarjournalistin und Autorin eines Buches über regenerative Landwirtschaft und die Klimakrise „Vielleicht haben wir noch 10 Jahre“.